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Zufallsbeteiligung datenschutzrechtskonform ermöglichen – Nutzbarkeit des vollständigen Spektrums der Beteiligungsmethoden auch in Hamburg sicherstellen

Mittwoch, 26.06.2024

Alle Einwohner*innen verfügen über Expertise der eigenen Lebenswelt, die der Verwaltung helfen kann, bessere Entscheidungen zu treffen. Länder und Kommunen mit einem modernen Verwaltungsverständnis sind offen für diese Einflussnahme, die die eigene professionelle Sichtweise bereichert und ergänzt.

Die gesellschaftliche Funktion der Beteiligung von Einwohner*innen an Entscheidungen der Verwaltung ist in einer repräsentativen parlamentarischen Demokratie die Beratung.

 

Nach der Erstellung des ersten Hamburger Bürger*innenbeteiligungsberichts 2020 hat die Stabsstelle Beteiligung in der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke (BWFGB) ihren Fokus auf die Frage gerichtet, ob Beteiligungsverfahren in der Regel so gestaltet werden, dass die Verwaltung tatsächlich von den Ergebnissen im Sinne einer bestmöglichen Entscheidungsgrundlage profitiert.

 

Beteiligungsverfahren werden in mehreren Hamburger Fachbehörden genutzt, so etwa der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende und der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen. Daneben kommt den sieben Bezirksämtern in der Umsetzung und Weiterentwicklung von Beteiligungsverfahren eine besondere Rolle zu, da sie nicht nur zahlreiche Verfahren durchführen, sondern als Behörden vor Ort auch für Arbeitsfelder zuständig sind, die häufig eine direkte Auswirkung auf die lokale Lebensqualität haben. Die Herausforderung besteht darin, bei jedem Beteiligungsanlass eine angemessene Methodik zu wählen, die sowohl dem Anliegen des Verfahrens als auch den vorhandenen Ressourcen Rechnung trägt.

Eine perfekte Beteiligungsmethode, die allen anderen überlegen ist, gibt es nicht. Es kommt immer auf den Rahmen der Thematik, dem vorhandenen Entscheidungsspielraum, den zur Verfügung stehenden Ressourcen und der ausgewählten Methode an.

 

Das Bezirksamt Eimsbüttel führte von 2014 bis 2022 eine systematische Qualitätsentwicklung von Beteiligungsverfahren durch und beleuchtete hierbei das gesamte Methodenspektrum. So entstand ein fundierter Vergleich unterschiedlicher Methodensettings hinsichtlich der Prozess- und Ergebnisqualität. Im Verlauf der Jahre wurden klassische Abendveranstaltungen, Zukunftswerkstätten oder Runde Tische durchgeführt, aufsuchende Verfahren wie „Tür- und Angelgespräche“ erprobt sowie erste Erfahrungen mit der Gewinnung von „Zufallsbürger*innen“ aus dem Melderegister gesammelt. Hierbei lag ein besonderes Augenmerk darauf, wie sich die Methodik und die Art der Gewinnung der Beteiligten auf die Qualität der Ergebnisse auswirken.

 

Zentraler Befund dieses Vergleichs ist, dass die in Hamburg derzeit vorrangig durchgeführten klassischen Beteiligungsformate mit einer offenen Einladung, einer „Selbstmandatierung“ von besonders Interessierten und einer hohen sozialen Selektivität der Beteiligten den eigentlichen Zweck der Beteiligung oft nur sehr eingeschränkt erfüllen.

 

Da sehr engagierte Einwohner*innen natürlich auch eine wichtige Ressource darstellen und dieses Engagement große Anerkennung verdient, ist die Schlussfolgerung nicht, dass Veranstaltungen, die allen offenstehen, grundsätzlich zu vermeiden sind. Das Bezirksamt Eimsbüttel hat gute Erfahrungen damit gemacht, offene mit aufsuchenden Formaten oder offene Formate mit Zufallsauswahlverfahren zu kombinieren. So wird eine größere Bandbreite der Lebenslagen und Sichtweisen erreicht, aber weiterhin besonders Interessierten die Möglichkeit geboten, sich aktiv einzubringen. Was eine angemessene Methodik ist, muss weiterhin im Einzelfall entschieden werden. Wenn nicht nur auf die Repräsentativität, sondern auch auf den Umgang mit sehr engagierten Einwohner*innen geblickt wird, sollte eine Kombination von offenen und aufsuchenden Formaten oder Zufallsauswahlverfahren angestrebt werden.

 

Derzeit ist es in Hamburg jedoch nicht problemlos möglich, die Beteiligungsmethoden mit dem jeweils höchsten Wirkungsgrad zu wählen. Denn aufgrund offener rechtlicher Fragen ist es außerhalb z. B. durch das Baugesetzbuch zwingend vorgegebener Beteiligungsverfahren nicht sichergestellt, dass Zufallsauswahlverfahren als eine der möglichen Optionen für eine passende Methodik in Betracht gezogen werden können. Vor diesem Hintergrund soll es im Sinne einer modernen, bürger*innennahen Verwaltung auch in Hamburg ein Gesetz zur Regelung der datenschutzrechtlichen Belange bei der Durchführung von Zufallsbeteiligungen durch die Verwaltung geben, um diese rechtlich zu ermöglichen.

 

 

Die Bürgerschaft möge beschließen:

 

Gesetz

zur datenschutzkonformen Nutzung von Meldedaten von Einwohnerinnen und Einwohnern für Zufallsbeteiligungen

 

Vom …

§ 1

Öffentliche Aufgabe der Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern, Zweck des Gesetzes

(1) Zweck der dialogischen Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern der Freien und Hansestadt Hamburg ist es, Interessen und Lösungsansätze aus der Bevölkerung zu einem konkreten Thema oder Vorhaben zu ermitteln. Dies geschieht durch Dialoge der Verwaltung mit der Öffentlichkeit.

(2) Das Ergebnis der dialogischen Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern ist in einem Bericht festzuhalten. Dieser ist für die zuständigen Stellen nicht bindend.

(3) Die dialogische Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern ist ein informeller Teil des Verwaltungshandelns und kann außerhalb, vor oder neben einem anderen Verfahren durchgeführt werden.

(4) Die Durchführung einer dialogischen Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern ist in verschiedenen Formaten möglich, insbesondere geeignet sind Diskussionsforen, Runde Tische oder Konferenzen, wobei eine digitale Teilnahme angeboten werden soll. Mit der Entscheidung über die Durchführung einer dialogischen Bürgerbeteiligung wird auch das jeweilige Format festgelegt.

(5) Soll eine dialogische Beteiligung erfolgen, wird sie als öffentliche Aufgabe durchgeführt.

§ 2

Zuständigkeit, Verfahren

(1) Behörden im Sinne von § 1 Absatz 2 HmbVwVfG des Hamburgischen Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 9. November 1977 (HmbGVBl. S. 333, 402), zuletzt geändert am 7. März 2023 (HmbGVBl. S. 109), in der jeweils geltenden Fassung können im Rahmen ihrer Zuständigkeit für konkrete Themen oder Vorhaben eine dialogische Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern durchführen.

(2) Die Entscheidung über die Durchführung einer dialogischen Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern liegt im Ermessen der die Beteiligung durchführenden Behörde. Die Entscheidung sollte im Einvernehmen aller an dem jeweiligen Gegenstand fachlich beteiligten Behörden erfolgen.

(3) Sonstige gesetzliche Verfahrensvorschriften bleiben durch dieses Gesetz unberührt. Die Ergebnisse dialogischer Beteiligungen können von den Behörden in anderen gesetzlich vorgesehenen Verfahren berücksichtigt werden. Fehler im dialogischen Beteiligungsverfahren oder eine nicht durchgeführte oder falsche Berücksichtigung der Ergebnisse des dialogischen Beteiligungsverfahrens begründen keinen Verfahrensfehler für andere gesetzlich vorgesehenen Verfahren.

(4) Die Behörde, die die Absicht hat eine dialogische Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern durchzuführen, muss dies rechtzeitig vor Durchführung bekannt machen. Dies kann insbesondere durch Veröffentlichung auf der Internetseite der Behörde geschehen. Sie hat dabei das konkrete Thema oder Vorhaben, zu dem es eine dialogische Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern geben soll, sowie die Dialogabsicht und das Format nach § 1 Absatz 4 des Dialoges darzulegen.

(5) Die dialogische Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern kann mit nach bestimmten Kriterien zufällig aus dem Melderegister ausgewählten Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt werden. Die Auswahl erfolgt aus einer Teilmenge der Einwohnerinnen und Einwohner heraus. Als Auswahlkriterien können nur die nach § 38 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 2 des Bundesmeldegesetzes (BMG) vom 3. Mai 2013 (BGBl. I S. 1084), zuletzt geändert am 22. März 2024 (BGBl. I Nr. 104 S. 1, 7), in der jeweils geltenden Fassung zulässigen Daten genutzt werden. Die Teilmenge soll eine für das jeweilige Beteiligungsverfahren repräsentative Personenanzahl erreichen.

(6) Die zufällig ausgewählten Personen sind unter Mitteilung der Informationen gemäß Artikel 14 Absätze 1 und 2 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. EU 2016 Nr. L 119 S. 1, L 314 S. 72, 2018 Nr. L 127 S. 2, 2021 Nr. L 74 S. 35) und unter Setzung einer Frist zur Antwort schriftlich zu fragen, ob sie an der dialogischen Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern teilnehmen möchten. Die Teilnahme an der dialogischen Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern ist freiwillig. Die Behörde kann aus den Zusagen der ausgewählten Personen eine erneute Teilmenge bilden, um die Zahl der Teilnehmenden einzugrenzen. Bei der Auswahl der Teilnehmenden hat die Behörde unter Berücksichtigung der für die Zufallsauswahl definierten Kriterien erneut durch Los auszuwählen. Es besteht kein Anspruch auf eine Teilnahme. Auch hierauf ist im Anschreiben hinzuweisen.

§ 3

Datenverarbeitung

(1) Zur Durchführung einer dialogischen Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern darf die für die Organisation der Bürgerbeteiligung zuständige Behörde die erforderlichen Daten aus dem Melderegister nach Maßgabe der §§ 34 Abs.1 Satz 1 BMG erheben. Hierfür muss sie gegenüber der Meldebehörde in Textform darlegen, nach welchen Auswahlkriterien und für welche dialogische Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern die Daten erhoben werden sollen. Die Bekanntmachung im Sinne von § 2 Absatz 4 muss dabei bereits erfolgt sein.

(2) Die nach Absatz 1 erhobenen Daten dürfen nur für den Zweck der Durchführung des jeweiligen Beteiligungsformates verarbeitet werden.

(3) Die personenbezogenen Daten sind unverzüglich zu löschen, wenn keine Teilnahme erfolgt. Ein Widerspruch gegen die Nutzung der Daten aus dem Melderegister kann ohne Angabe von Gründen erhoben werden und führt zu sofortiger Sperrung der Daten für die öffentliche Aufgabe der Bürgerbeteiligung.

(4) Die personenbezogenen Daten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind unverzüglich nach Abschluss der dialogischen Beteiligung, spätestens drei Monate nach Abschluss des Beteiligungsformates zu löschen.

 

 

**Gesetzesbegründung zum Gesetz zur datenschutzkonformen Nutzung von Meldedaten von Einwohnerinnen und Einwohnern für Zufallsbeteiligungen**

 

 

Das vorliegende Gesetz zur datenschutzkonformen Nutzung von Einwohnermeldedaten für Zufallsbeteiligungen schafft eine Grundlage zur Nutzung von Meldedaten für die dialogische Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern. Durch die Nutzung von Einwohnermeldedaten für Zufallsbeteiligungen außerhalb bereits heute bestehender gesetzlicher Beteiligungsverfahren soll eine breite und repräsentative Teilnahme der Bevölkerung an Entscheidungsprozessen ermöglicht werden.

Für gesetzlich vorgesehene Beteiligungsverfahren besteht bereits heute die rechtliche Möglichkeit, Zufallsbeteiligungen zu nutzen. Diese Möglichkeit soll durch das vorliegende Gesetz nicht eingeschränkt werden, sondern auch in informellen Beteiligungsverfahren ermöglicht werden.

 

Die dialogische Beteiligung von Einwohnerinnen und Einwohnern ist ein wichtiger Bestandteil einer partizipativen Demokratie und trägt dazu bei, die Bedürfnisse und Meinungen der Bevölkerung in politische Entscheidungen einzubeziehen. Durch den Dialog zwischen Verwaltung und Bürgern können Konflikte frühzeitig erkannt, Lösungen erarbeitet und die Legitimität von Entscheidungen gestärkt werden.

Um eine zufällig ausgewählte und somit repräsentative Bevölkerungsgruppe für Beteiligungsverfahren zu erhalten, müssen Behörden und Bezirksämter, die Beteiligungsverfahren durchführen müssen, auf Meldedaten des Zentralen Melderegisters zugreifen. Dieser Zugriff unterliegt dem Datenschutzrecht. Das vorliegende Gesetz regelt die Grundsätze der Nutzung und Speicherung der abgerufenen Datensätze.

Das Gesetz regelt die Nutzung von Einwohnermeldedaten für Zufallsbeteiligungen, ohne dabei personenbezogene Daten unnötig preiszugeben oder zu speichern. Durch die datenschutzkonforme Nutzung von Einwohnermeldedaten wird sichergestellt, dass die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger geschützt und die datenschutzrechtlichen Anforderungen eingehalten werden.

Die verschiedenen Formate der dialogischen Beteiligung wie Diskussionsforen, Zukunftswerkstätten, Online-Beteiligungen, Runde Tische, Bürgerräte oder Konferenzen, bieten den Einwohnerinnen und Einwohnern vielfältige Möglichkeiten, sich aktiv an der Gestaltung ihrer Umwelt zu beteiligen. Die digitale Teilnahme auch an Veranstaltungen wird aus Gründen der Barrierefreiheit nach Möglichkeit mit angeboten, um sicherzustellen, dass alle Einwohnerinnen und Einwohner unabhängig von ihrer Wohnsituation oder Mobilität an den Beteiligungsverfahren teilnehmen können.

Die Teilnahme an der dialogischen Beteiligung ist grundsätzlich freiwillig. Nach erfolgter Meldung Freiwilliger können beteiligte Behörden per Losverfahren die Menge der Teilnehmenden eingrenzen. Hierbei dürfen zuvor Teilgruppen nach für das jeweilige Verfahren sinnvollen definierten Kriterien gebildet werden. Das Losverfahren kennzeichnet sich durch Zufälligkeit und Unbeeinflussbarkeit. Zur Einordnung der Freiwilligen nach diesen Kriterien dürfen die beteiligten Behörden die Freiwilligen mit Fragebögen befragen.

Das Beteiligungsverfahren gilt als abgeschlossen, sobald die Ergebnisse von den beteiligten Behörden in Abschlussberichtsform zusammengestellt wurden.

 

sowie
  • der Abgeordneten Lisa Kern
  • Eva Botzenhart
  • Alske Freter
  • Sina Imhof
  • Jennifer Jasberg
  • Sina Aylin Koriath
  • Sonja Lattwesen
  • Lisa Maria Otte
  • Lena Zagst (GRÜNE) und Fraktion